02 Nov Auf den Spuren der Kelten im Birgland
Seit ich während meines Studiums in England zum ersten Mal mit der Geschichte der Kelten in Berührung gekommen bin, hat mich dieses sagenumwobene Volk nicht mehr losgelassen. Alles, was man von ihnen weiß, ihre tiefe Verbundenheit zur Natur, das gelassene Sicheinfügen in das Leben, die Kunstschätze mit den wundervollen Mustern, hat mich tief berührt.
So war es kein Zufall, dass ich mich bei der Gestaltung der Gärten auf dem Wunderhof von ihnen inspirieren lassen wollte. Ein Besuch in England bei meinen Freundinnen aus der Studienzeit dort gab mir wertvolle Impulse. Von Chalice Well nahm ich die Idee mit den zwei Eiben mit, deren Kronen zu einem Bogen zusammenwachsen. Glastonbury Tor und der Steinkreis von Avebury beeindruckten mich so tief, dass ich auf jeden Fall einen kleinen Steinkreis auf dem Wunderhof machen wollte.
Vielleicht war es auch kein Zufall, dass ich dem damaligen Bürgermeister der Gemeinde Birgland, Herbert Steinmetz bei einem Besuch davon erzählte. Seine Augen leuchteten auf, und er fragte mich begeistert: „Da kennen Sie doch bestimmt auch all die keltischen Orte bei uns im Birgland?“ Ich sah ihn ein bisschen mitleidig an: „Bei uns im Birgland? Da täuschen Sie sich, die Kelten gab es doch nur in England und Wales oder in Schottland!“ Aber er ließ sich nicht beirren: „Nein, nein, Frau Steiner-Böhm, bei uns gibt es ganz viele Fundstellen. Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen die gerne zeigen.“
Man muss wissen, dass ich Geschichte studiert habe, aber während meines Studiums niemals irgendetwas von keltischen Überresten bei uns in Bayern gehört hatte. Entsprechend skeptisch war ich ob meines (vermeintlichen) Wissens, aber ich wollte auch nicht unhöflich sein und ließ mich zu einem Ausflug überreden.
Es sollte die Überraschung meines Lebens werden, denn natürlich hatte Herbert Steinmetz recht. Als Erstes führte er mich über die Grenze ins Fränkische, zur Houbirg, einem ehemaligen keltischen Oppidum gleichen Namens. Die Reste der teilweise bis zu zehn Metern hohen und an einigen Stellen bis zu 17 m breiten Mauern der Wallanlage umschließen ein Gebiet von fast einem Quadratkilometer. In der Blütezeit des Oppidums lebten hier ca. 40 000 Menschen.
Als Nächstes ging es nach Frechetsfeld zu einer „Feuersteinwerkstatt“ ca. 200 m oberhalb des Dorfes. Heute ist das ein Feld, das bewirtschaftet wird, und nur für erfahrene Archäologen sind die zum Teil behauenen Steine, die beim Pflügen nach oben kommen, erkennbar.
Ein Hügelgrab, verborgen in einer Buschgruppe mitten in einem Feld, liegt ca. 500 m westlich von Frechetsfeld. Erkennbar ist es erst, wenn man in die Mitte vorgedrungen ist. Denn dann sieht man, dass hier die aufgetürmten Steine in der Mitte die ganz typische Mulde eines Hügelgrabes bilden, bei dem die darunterlegende Grabkammer eingebrochen ist, oder, was hier wahrscheinlicher ist, ausgeraubt wurde.
Mittlerweile hatte mir Herbert Steinmetz auch erzählt, wie er das alles herausgefunden hatte. Beim Bau der A 6 waren in der Nähe des Ringwalls am Hagfels Gräber gefunden und an das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege gemeldet worden. Die Mitarbeiterin, die den Fall bearbeitete, hatte dann dem damals höchst erstaunten Bürgermeister die bereits bekannten Fundorte im Birgland gezeigt. Und auch, dass man im Bayerischen Atlas der Bodendenkmäler diese Fundorte jederzeit nach wissenschaftlichen Standards überprüfen kann.
Ich habe mich nach diesem Tag intensiv mit der keltischen Geschichte in Bayern beschäftigt. Zum einen habe ich mich natürlich ein bisschen geschämt, dass ich als studierte Geschichtslehrerin den vermeintlich unwissenden Bürgermeister belächelt hatte, zum anderen, weil es mich empörte, dass wir darüber im Studium nie etwas gehört haben. Dass die christliche Religion alle Rituale früherer Kulturen entweder ausgelöscht oder übernommen hatte, davon hatte ich zwar schon gehört, aber seit ich dieses Erlebnis hatte, war mir auch sehr deutlich bewusst, wie gut das funktioniert hatte. Seitdem bin ich nicht nur sehr hellhörig, wenn ich von alten Bräuchen höre, sondern fühle mich in meinem Hingezogensein zu den Kelten auch nicht mehr als Außenseiterin. Denn ihre Geschichte ist auch unsere Geschichte hier in Bayern.
Wissenschaftliche Hintergrundinformationen
Die Eisenzeit (800 v. Chr. – 15 v. Chr.)
Die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts war geprägt von großen Veränderungen: Zuwanderung und Überlagerung der Urnenfeldergesellschaften und die Ausbreitung der Eisenverarbeitung von Griechenland und Südosteuropa gaben Mitteleuropa nach der Bronzezeit ein neues Gepräge. Eisenerz war im Gegensatz zu Bronze weit verbreitet und konnte an Ort und Stelle verhüttet werden. Waffen und Gebrauchsgegenstände wurden nun aus dem haltbareren und billigeren Eisen hergestellt. Das Kontrollsystem über die Fernhandelsstraßen aus der Bronzezeit verlor seine Bedeutung und die Vormachtstellung des Adels brach zusammen. Es entwickelte sich eine breite Schicht wohlhabender Bauern. In Bayern war die Bevölkerung mit einiger Sicherheit ab dieser Zeit keltisch. Die Historiker stehen jedoch bei den Kelten genau wie bei den Germanen oder Slawen vor einem Problem, denn ihre Anfänge liegen im Dunkel. Wann genau sich diese Menschen selbst als Kelten bezeichneten, wissen wir nicht, sie hinterließen uns keine schriftlichen Quellen.
Zeugnisse über die Geschichte der Kelten
Unsere Kenntnisse über die Kelten beziehen wir vor allem von römischen und griechischen Schriftstellern, insbesondere von Herodot, Polybios, Strabon und ganz besonders Cäsar, der in seinen Büchern „De bello Gallico“ ausführlich über die Gallier berichtet. Er ist auch der Erste, der zwischen Germanen und Kelten differenziert. Der entscheidende Grund für eine solche Unterscheidung liegt in der Sprache. Das Keltische, das in Gallien, Britannien und Galatien gesprochen wurde, gehört zu den sogenannten indogermanischen Sprachen. Als Quelle dient uns eine Fülle von Orts- und Personennamen auch in Deutschland. So sind z.B. Rhein, Donau, Isar und Lech keltisch. Die Sprachwissenschaft unterscheidet dabei zwei Formen des Keltischen, das Q- und das P-Keltische. Das P-Keltische (z.B. epos, das Pferd) finden wir in Gallien, England, Wales und Cornwall, während in Schottland, Irland und Spanien das Q-Keltische, das heutige Gälisch, überwiegt (equos, das Pferd). Heute werden die Kelten in Gallien als Gallier und in Galatien als Galater bezeichnet, während der Begriff „Kelten“ ein Oberbegriff ist. Die Germanen nannten sie die „Welschen“, das Wort welsch steckt in zahlreichen deutschen Worten wie Wallis, Wallach oder Walnuss.
Die zeitliche Einordnung der keltischen Geschichte
erfolgt nach ihren Hauptfundorten: Die Hallstattzeit (800 v. Chr. – 500 v. Chr.) ist benannt nach dem bedeutenden Gräberfeld im oberösterreichischen Hallstatt, dem wichtigsten Ort des keltischen Salzbergbaus und die Latènezeit (450 v. Chr. – Christi Geburt) nach dem Fundort La Tène in der Schweiz. In dieser Zeit kehrte man zur Körperbestattung zurück, und die zahlreichen Grabbeigaben ermöglichen Rückschlüsse auf gesellschaftliche Ordnung und Änderungen in der Lebensweise. Geräte aus Buntmetall sind die wichtigsten Zeugnisse für das keltische Leben. Eine dekorative, abstrakte Ornamentik in geometrischen Formen dominiert die Gestaltung aller erhaltenen Gegenstände. Fabelwesen, zusammengefügt aus menschlichen und tierischen Körperteilen, stilisierte Figuren, vielfarbige, vielfältige Muster zieren die Irdenware. Als Eisenschmiede und Bergleute sind die Kelten in die germanische Mythologie eingegangen. So ist unser Wort Eisen ein keltisches Lehenswort. Töpferscheibe und Drehmühle brachten sie zu den Germanen, aber auch in anderen Handwerken leisteten sie Hervorragendes: Emaillekunst, Glasherstellung, Leder- und Textilverarbeitung, Drechslerei und Wagenei beherrschten sie, wie die etwa zweihundert keltischen Lehenswörter im Lateinischen aus diesen Bereichen beweisen.
Religion und Mythologie
der Kelten üben selbst heute noch eine große Faszination aus. Keltenkulte haben sich in Sagen und Märchen trotz kirchlicher Verbote überall erhalten. Belege für die religiöse Welt der Kelten finden sich an den Opferplätzen, zumeist Viereckschanzen, die im Inneren fundarm sind und nur an den Opferstellen vielfältige, meist vorher zerstörte Opfergaben aufweisen. Auch im Sulzbacher Bergland gibt es viele Funde, die von einer dichten Besiedelung in der Hallstatt- und Latènezeit zeugen. Einen nicht unerheblichen Einfluss dürfte die große Anlage auf der Houbirg bei Happurg auch auf das angrenzende Gebiet gehabt haben. Während der Hallstattzeit hatte sie immerhin die Größe der Altstadt von Nürnberg. Mit Beginn der Latènezeit begeben sich die Kelten auf eine Reihe von Eroberungszügen, die allerdings nicht zu dauerhaften Landnahmen führen. Die Uneinigkeit der Stämme untereinander führt letztendlich dazu, dass Germanen und Römer im ersten Jahrhundert vor Christus der keltischen Herrschaft ein Ende bereiten. Trotz ihrer hohen historischen Bedeutung sind die Kelten von der Landkarte Europas wieder verschwunden: nach ihrer Expansion von Zentralanatolien bis Irland sind sie bis auf geringe Reste in Irland, Wales, Schottland und Galizien in den nachfolgenden Völkern aufgegangen.